stimmtraining im lockdown

Sprecherausbildung

Sprecher haben Respekt vor jedem Buchstaben

Wiener Zeitung | 24.08.2021 | von Bettina Petschauer

Wer professionell sprechen möchte, muss mehr mitbringen als eine schöne Stimme.

„Du hast ja eine schöne Stimme, du solltest etwas draus machen!“ – diesen Satz hat der eine oder die andere vielleicht schon einmal gehört. Doch eine schöne Stimme ist bei weitem nicht alles, was es braucht, um ein professioneller Sprecher zu werden. Und was heißt überhaupt „schön“? Dabei gehen die Meinungen naturgemäß ziemlich auseinander. Dennoch gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber, welche Stimmen die meisten Menschen als angenehm empfinden: Die Stimme darf weder zu laut noch zu leise, nicht kraftlos oder schüchtern, sondern sollte kräftig und natürlich sein. Zu monoton ist auch nicht optimal, denn dann schweifen die Zuhörenden schnell ab – und unterbewusst schätzt man die Inhaber immer gleichbleibender Stimmen als unsozial und neurotisch ein.

Glaubt man der Wissenschaft, dann unterscheiden sich Vorlieben bei Stimmen für Hörbücher je nach Genre: Bei Thrillern, Krimis, historischen Romanen und Science Fiction sind vor allem tiefere Stimmen beliebt. Bei romantischen Geschichten, Jugendromanen und im Fantasy-Bereich sind es vornehmlich die weiblichen Stimmen, die gefragt sind.

Übung macht den Sprecher

Um professionell zu sprechen, muss man aber vor allem eines: üben, üben, üben. Gunda Hofmann ist
Geschäftsführerin des Zentrums für Stimme & Sprechen in Wien, das Sprecherausbildungen mit verschiedenen Schwerpunkten wie Moderation, Hörbuch oder Werbung anbietet. Die akademische Trainerin und Expertin für Atemtechnik, Stimmtraining, Rhetorik, Körpersprache und Ausdruck stellt klar: „Schnell mal nebenbei sprechen lernen, geht nicht. Sprechen ist ein sehr komplexer Vorgang.“ Und diesen Vorgang muss man Schritt für Schritt optimieren, wenn man professionell sprechen möchte. Das beginnt schon beim Atmen. „Der Atem ist die Basis des Sprechens, er muss beim Sprechen einfließen. Daraus ergeben sich der Sprachrhythmus, die Sprachmelodie und die Deutlichkeit des Sprechens.“

Darum ist der erste Schritt in der Sprecher-Ausbildung das Atemtraining. Dabei werden Atem- und Resonanzräume im Körper geöffnet, denn mit etwas Übung fällt einem das Sprechen gleich leichter und man spricht lieber. Atemübungen bringen außerdem eine gewisse Präsenz, beeinflussen die Haltung und stärken die Stimme. Auch das reflektorische Atmen wird trainiert. Dabei holt sich der Körper automatisch immer so viel Atem nach, wie ihm seit dem letzten Einatmen entnommen wurde. Darum fällt das Einatmen nach langen Sprechphasen auch entsprechend länger aus, manchmal auch hörbarer, wenn man schnell Atem holt. Das reflektorische Atmen funktioniert allerdings nur, wenn man es auch zulässt – und damit es sich automatisiert, muss man es trainieren.

Mindestens ebenso wichtig wie das Atemtraining sind Stimmübungen. Dabei werden zwar nicht die Stimmbänder selbst trainiert – das ist nicht möglich -, aber mit zunehmender Routine gewöhnen sich die Stimmbänder daran, dass sie viel benützt werden, und schmerzen nach längerem Sprechen nicht, wie das bei Laien manchmal der Fall ist. Außerdem arbeitet man an der Aufrichtung des Körpers: Die Muskulatur soll entspannt sein, denn die richtige Haltung hilft beim Sprechen.

Bei einer Sprecherausbildung wird natürlich auch am Text selbst gearbeitet. Dabei ist der Sprachrhythmus entscheidend. Gunda Hofmann betont: „Jedes Wort möchte gesprochen werden. Es geht dabei um den Respekt vor dem einzelnen Wort, ja sogar vor jedem einzelnen Buchstaben. Das macht die Sprachmelodie aus“, sagt sie, und kommt damit zum Kern ihrer Philosophie: die Persönlichkeit des Sprechenden.

Denn Sprechen lernen ist vor allem ein Persönlichkeitsentwicklungsprozess. Dafür muss man aber auch bereit sein. „Das Sprechen ist unser Ausdruck; das ziehen viele Menschen, die professionell sprechen wollen, nicht in Betracht. Die Vorstellung von Laien, die sich noch nicht tiefergehend mit dem Thema auseinandergesetzt haben, stimmt oft nicht mit dem professionellen Training überein. Da entsteht dann schon manchmal ein bisschen Widerstand, wenn es tiefer geht. Es kommt auf die Person an, ob sie sich darauf einlassen will und interessiert ist.“ Wer sich traut, wird belohnt: „Die meisten sind positiv überrascht und sagen: Wow, das hätte ich mir nie gedacht.“

Gefragt nach den Grundvoraussetzungen, um professionell sprechen zu können, nennt Hofmann drei Zutaten: sich einlassen auf die Sache, ein professioneller (Lern-)Wille und natürlich üben. „Manche fragen, ob man irgendwann aufhören kann zu üben. Aber wenn man ein Instrument spielt, muss man ja auch immer weiter üben. Man möchte es gern leicht haben und sich nicht vertiefen, aber das geht in dem Fall einfach nicht.“

Doch auch gewisse schauspielerische Fähigkeiten gehören zum Sprechen: „Hinter allem, was wir sagen, steht ein Gedanke, eine Stimmung, das geht in Richtung Schauspiel.“ Man versucht also, für einen bestimmten Text eine bestimmte Stimmung in sich selbst zu erzeugen, da sich diese auch wieder auf die Art des Sprechens auswirkt. Dazu wird ein Tor zum Unbewussten geöffnet, damit man das Wissen bewusst und kultiviert nützen kann, wenn man es braucht. Der Unterschied zwischen dem Vorlesen eines Textes und professionellem Sprechen ist, dass man bei Letzterem den Text mit allen Sinnen erzählt. „Es geht darum, wie ich diese Wörter fülle, wie ich sie lebendig mache. Erzähle ich noch eine andere Geschichte, die gar nicht im Text steht, damit die Geschichte einen Unterbau bekommt? Was steht hinter der Geschichte? Das sind alles Gedanken, die man sich beim Sprechen macht.“ Vor allem beim Synchronsprechen für Filme ist eine Schauspielausbildung eine Grundvoraussetzung, denn dabei muss man sich komplett in die gesprochene Rolle hineinversetzen können.

Persönlichkeit ist alles

Ein „Talent“ zum Sprechen hilft natürlich auch. Aber Talent ist laut Hofmann etwas, das sich manchmal nicht offensichtlich zeigt. Bereits mehrmals hat sie erlebt, dass es sich erst mit der Zeit herauskristallisiert. Sie ist überzeugt: „Wenn der Wunsch groß ist, muss das Talent irgendwo vorhanden sein.“

Manche haben auch eine Stimme, die ihnen gar nicht entspricht, manche Frauen sprechen eigentlich zu hoch und manche Männer zu monoton und tief. Das kann von den Eltern übernommen oder einfach falsch angelernt worden sein, aber mit Training kann man seine eigene Stimme finden und damit seine eigene Persönlichkeit ausdrücken. Und genau darum geht es hauptsächlich bei einer Sprechausbildung – nicht darum, jemandem zu erklären, wie ein Satzende betont werden soll. „Es gibt hunderttausend verschiedene Arten, einen Satz zu sprechen. Gute Sprecher finden ihren eigenen Ausdruck, denn Sprechen ist Redekunst.“ Dieser Ansatz ist in unserer Gesellschaft aber noch nicht so weit verbreitet. Meist wird Professionalität – etwa bei Managern oder Politikern – eher damit gleichgesetzt, möglichst wenig von der eigenen Persönlichkeit durchblitzen zu lassen.

Wie klingt sie denn nun, eine „schöne“ Stimme? Am Ende läuft es wohl – bei allen geschmacklichen Unterschieden – darauf hinaus, dass in ihr wirklich die Person durchklingt und die Stimme einzigartig werden lässt. Nicht umsonst kommt das Wort Person vom lateinischen „personare“ und bedeutet wörtlich übersetzt „durchklingen“. Die Stimme muss mit dem Menschen und dem Klangkörper zusammenpassen, ob nun beim Gesang oder beim Sprechen von Hörbüchern. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, steht einem Erfolg, wie bei den großen Stimmen der Hörbuchverlage David Nathan, Franziska Pigulla, Johannes Steck oder Simon Jäger, deren Stimmen man schon beim ersten Wort erkennt, nichts mehr im Wege.

 

Den Originalartikel finden Sie online unter:

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