stimmtraining im lockdown

Die Magie der Stimme

Aus der Zeit Nr. 22/2023 | 24. Mai 2023

(…) Nun wäre die Welt nicht so präpotent und lärmig, wie sie ist, und auch nicht so sorglos künstlich intelligent, wie sie tut, wenn es nicht starke Gegenkräfte gäbe. Sie heißen Achtsamkeit oder Authentizität (zwei arg strapazierte Begriffe), der Markt ist riesig und reicht von Yoga-Retreats zum Thema „innere Stimme“ bis zu Empowerpent-Kursen wie „Schluss mit kleinlaut!“ oder „Dein Weg zur Stimmfreiheit“. Der einen Fraktion geht es ums perfekte In-sich-hinein-Horchen, der anderen um die perfekte Kommunikation, die Grenzen sind durchaus fließend. Die Experten, die auf diesen Gebieten ihre Dienste anbieten, gern auch im Netz, nennen sich Speaker, Kommunikationstrainerin oder Rethorikcoach, haben allesamt tollen Stimmen und tolle Zähne und sind wahnsinngi gut gelaunt. Hey, Stimme macht Spaß!

Ich will das ausprobieren und buche eine Online-Probestunde bei Gunda Hofmann. Hofmann ist Schauspielerin, hat viele Zusatzqualifikationen und leitet in Wien das „Zentrum für Stimme & Sprechen“. Am Screen erscheint eine sympathische Person, die mir nach einem kurzen Vorgespräch knappe, klare Anweisungen gibt. Ich sitze aufrecht, hebe abwechselnd die Arme und Füße und versuche, normal zu atmen. „Wie ist Ihre Stimmung?“ fragt Gunda Hofmann. Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Dann geht’s zur Sache. Ich spanne meinen Mund so breit, wie es geht, lege eine Hand auf den Bauch und stoße im Wechsel die Verschlusslaute g/f, d/t und b/p aus. Das schult den reflektorischen Atem, erfahre ich, es stärkt die Stimme und das Zwerchfell. Meine Lippenspannung, bemerke ich schnell, lässt zu wünschen übrig.

Die gleiche Übung gibt es auch im Stehen, da ziele mit den G’s und D’s wie mit Pfeilen auf Gegenstände im Raum, ggg, kkk, ddd, tttt. Meine Lippenspannung schert das zwar immer noch wenig, das Sprechen aber fühlt sich runder an, die Stimme voluminöser. „Wie ist Ihre Stimmung?“ fragt Hofmann erneut. „Gut“, antworte ich, „plosiv, äh, positiv.“

Was beobachtet die Wienerin in ihrer Praxis? Viele Politiker seien einheitsgecoacht, antwortet die 57-Jährige. Auch in den Medien dominierten „moderne Stimmen“, trockene, an Computerstimmen geschulte, keinenfalls lebendige oder leidenschaftliche. Das bedauere sie, denn „die Inhalte müssenüber mich als Menschen laufen, nur dann teilen sie sich mit.“ Herzliche Grüße an die KI? Sie sehe außerdem, sagt Hofmann, dass der Weg zur eigenen Stimme (zum nicht heiseren Sprechen, um in der Metapher zu bleiben) länger geworden sei. „Die Menschen können sich heute schlechter selbst wahrnehmen als noch vor ein paar Jahren.“ Interessanter Befund. Mehr Achtsamkeit sorgt offenbar nicht unbedingt für eine bessere Selbsteinschätzung.

Wenn die Stimmung die Stimme macht, frage ich mich nach meiner Probestunde, und die Stimme die Stimmung, wie weit reicht das über die reine Psychologie der Kommunikation hinaus? (…)

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